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Rezes­si­on in Deutsch­land nur aufgeschoben 

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Der Kauf­kraft­schwund, die enor­me Unsi­cher­heit infol­ge von Ukrai­ne-Krieg, Ener­gie­kri­se und Covid-Pan­de­mie, der Zins­an­stieg und die schwa­che Welt­wirt­schaft belas­ten die Kon­junk­tur in Deutsch­land. Nach dem von über­ra­schend star­ken Nach­hol­ef­fek­ten beim pri­va­ten Kon­sum getrie­be­nen Zuwachs im Som­mer wird Deutsch­land im Schluss­quar­tal 2022 in die Rezes­si­on rut­schen. KfW Rese­arch rech­net für das Win­ter­halb­jahr 2022/2023 mit spür­bar nega­ti­ven Quar­tals­wachs­tums­ra­ten von min­des­tens einem hal­ben Pro­zent und erst ab dem Som­mer 2023 wie­der mit der Rück­kehr auf einen mode­ra­ten Wachs­tums­pfad. Ins­ge­samt wird das deut­sche Brut­to­in­lands­pro­dukt 2022 um 1,7 % wach­sen, 2023 aber um 1,0 % schrump­fen (Vor­pro­gno­se: +1,4 % und ‑0,3 %).

„Der kurz­le­bi­ge Wachs­tums­sprint im Som­mer hat die Rezes­si­on in Deutsch­land auf­ge­scho­ben – aber sie kommt“, sagt Dr. Frit­zi Köh­ler-Geib, Chef­volks­wir­tin der KfW. „Die Schrump­fung im kom­men­den Jahr wird mit ‑1,0 % aller­dings recht mode­rat sein, ins­be­son­de­re gemes­sen an den Ein­brü­chen der Wirt­schafts­leis­tung in vor­an­ge­gan­ge­nen Kri­sen­jah­ren. Wäh­rend der Finanz­kri­se 2009 war das Brut­to­in­lands­pro­dukt um 5,7 %, wäh­rend des ers­ten Coro­na-Jahrs 2020 um 3,7 % geschrumpft.“ Für die Ein­ord­nung der begin­nen­den Rezes­si­on als mode­rat spre­che zudem, dass die Unter­neh­men ange­sichts wach­sen­der Fach­kräf­te­knapp­hei­ten bestrebt sein dürf­ten, ihr Per­so­nal mög­lichst zu hal­ten, wes­halb trotz rück­läu­fi­ger Wirtschafts­leistung von einem nahe­zu sta­bi­len Arbeits­markt aus­zu­ge­hen sei.

Die mul­ti­plen Kri­sen sor­gen für anhal­ten­den Pes­si­mis­mus in der Wirt­schaft. Die­ser wird – zusam­men mit der enor­men Unsi­cher­heit, den infla­ti­ons­be­ding­ten Kauf­kraft­ver­lus­ten, den höhe­ren Zin­sen und der Ver­schär­fung der Finan­zie­rungs­be­din­gun­gen – die pri­va­te Inves­ti­ti­ons­tä­tig­keit belas­ten. Trotz stüt­zen­der Impul­se aus Ener­gie­wen­de­pro­jek­ten wird es im kom­men­den Jahr zu einer erheb­li­chen Zurück­hal­tung bei den Unter­neh­mens­in­ves­ti­tio­nen wie auch im Wohn­bau kom­men. „Die­se stär­ke­re Inves­ti­ti­ons­zu­rück­hal­tung ist der wesent­li­che Grund, wes­we­gen wir nun für 2023 von einer etwas aus­ge­präg­te­ren Schrump­fung aus­ge­hen als in unse­rer Vor­pro­gno­se aus dem August“, so Köhler-Geib.

Unge­ach­tet der Ener­gie­preis­brem­sen für Gas, Fern­wär­me und Strom müs­sen sich die pri­va­ten Haus­hal­te wie auch die Unter­neh­men im Ver­gleich zu den Jah­ren zuvor auf spür­bar höhe­re Ener­gie- und Lebens­hal­tungs­kos­ten ein­stel­len. Im Ver­lauf von 2023 dürf­te die monat­lich gemel­de­te Infla­ti­ons­ra­te zwar wie­der sin­ken, zunächst jedoch nur gra­du­ell. Die Preis­schü­be bei Gütern am Anfang der Wert­schöp­fungs­ket­te wie ins­be­son­de­re Ener­gie und Lebens­mit­tel wer­den noch deut­li­cher auf die nach­ge­la­ger­ten Pro­duk­ti­ons­stu­fen über­grei­fen und wenigs­tens teil­wei­se die kom­men­den Lohn­ab­schlüs­se prä­gen. Die ange­sichts der viel­fa­chen Fach­kräf­te­eng­päs­se dann wohl stär­ker anzie­hen­den Löh­ne und Dienst­leis­tungs­prei­se wer­den den Druck auf die Kern­in­fla­ti­ons­ra­te – also die Infla­ti­ons­ra­te ohne Ener­gie- und Lebens­mit­tel­prei­se – hoch­hal­ten. Mit­tel­fris­tig dürf­ten die Rezes­si­on und die geld­po­li­ti­sche Straf­fung der Euro­päi­schen Zen­tral­bank aber auch dämp­fend auf die Kern­in­fla­ti­on wir­ken. Für den Durch­schnitt des Jah­res 2022 ist ein Anstieg der Ver­brau­cher­prei­se um 8,8 % und für 2023 um noch immer hohe 6,2 % zu erwar­ten. Die geld­po­li­ti­sche Ziel­mar­ke von 2 % wird wei­ter­hin verfehlt.

Das Wirt­schafts­wachs­tum hat viel­fäl­ti­ge sozia­le und öko­lo­gi­sche Fol­gen; es ist eine not­wen­di­ge, aber kei­ne hin­rei­chen­de Bedin­gung für nach­hal­ti­gen Wohl­stand. Nach einem neu­en Indi­ka­tor von KfW Rese­arch, der den mit der vor­her­ge­sag­ten Wirt­schafts­leis­tung ein­her­ge­hen­den Aus­stoß von Treib­haus­ga­sen abschätzt und die­se so mit einem öko­lo­gi­schen Preis­schild ver­sieht, wird der deut­sche Aus­stoß von Treib­haus­ga­sen zwar sin­ken, jedoch um schät­zungs­wei­se 6 % (2022) bezie­hungs­wei­se 5 % (2023) weni­ger als poli­tisch ange­strebt. „Mit unse­rem neu­en Indi­ka­tor wol­len wir das Bewusst­sein für den kurz­fris­ti­gen Trade-off zwi­schen mehr Gütern und Ein­kom­men einer­seits und der Bean­spru­chung zen­tra­ler Natur­res­sour­cen ande­rer­seits noch wei­ter schär­fen“, erläu­tert Köh­ler-Geib. „Sein aktu­el­les Signal ist mehr als deut­lich: Der klima­politische Hand­lungs­druck bleibt trotz Rezes­si­on unver­än­dert hoch und wir müs­sen das Wachs­tum noch deut­lich stär­ker vom Res­sour­cen­ver­brauch entkoppeln“.

Auf die Euro­zo­ne ins­ge­samt wir­ken die­sel­ben kon­junk­tu­rel­len Kräf­te wie auf Deutsch­land. Aller­dings haben vie­le Euro­staa­ten und ins­be­son­de­re die gro­ßen Län­der Frank­reich, Ita­li­en und Spa­ni­en im ver­gan­ge­nen Quar­tal beson­ders von einer kräf­ti­gen Erho­lung im Tou­ris­mus pro­fi­tiert. Kon­junk­tu­rell vor­teil­haft ist außer­dem ein klei­ne­res gesamt­wirt­schaft­li­ches Gewicht der dor­ti­gen Indus­trie, die zudem etwas weni­ger stark von inter­na­tio­na­len Wert­schöp­fungs­ket­ten und rus­si­schen Gas­lie­fe­run­gen abhän­gig ist. Mit dem weit­ge­hend abge­klun­ge­nen Auf­hol­wachs­tum im Tou­ris­mus wird nun aber auch hier der Gegen­wind domi­nie­ren und im Win­ter­halb­jahr 2022/2023 für eine tech­ni­sche Rezes­si­on in der Euro­zo­ne sor­gen, also min­des­tens zwei Quar­tals­schrump­fun­gen des BIP in Fol­ge. Wegen des bes­ser als zuvor ange­nom­me­nen Wachs­tums in den ers­ten drei Quar­ta­len hebt KfW Rese­arch die Pro­gno­se für 2022 gleich­wohl auf 3,3 % an, wäh­rend für 2023 nun nur noch eine Sta­gna­ti­on erwar­tet wird (Vor­pro­gno­se: +3,0 % und +0,5 %). Die Infla­ti­ons­ra­te in der Euro­zo­ne wird in die­sem Jahr bei 8,5 % und 2023 bei 6,0 % liegen.

Unter den Risi­ken ist der Russ­land-Ukrai­ne-Krieg der bedeu­tends­te Fak­tor, der für eine enor­me Pro­gno­se­un­si­cher­heit sorgt. Wirt­schaft­lich ist beson­ders rele­vant, ob es zu einer Gas­man­gel­la­ge und des­we­gen not­wen­di­gen Ener­gie­ra­tio­nie­run­gen kommt. Eine sol­chen Ent­wick­lung ist ange­sichts der im Novem­ber kom­plett gefüll­ten Gas­spei­cher und beacht­li­cher Ein­spa­run­gen von Indus­trie und Haus­hal­ten inzwi­schen zwar sehr unwahr­schein­lich, aber grund­sätz­lich noch immer mög­lich, ins­be­son­de­re bei einem unge­wöhn­lich kal­ten Win­ter. Neben dem Krieg schwelt die Coro­na-Pan­de­mie wei­ter und es ist mög­lich, dass bei Auf­tre­ten wei­te­rer Infek­ti­ons­wel­len oder Muta­tio­nen des Virus erneut wirt­schaft­lich rele­van­te Ein­schrän­kun­gen ver­fügt wer­den. Neben den Risi­ken gibt es aller­dings auch Chan­cen auf eine bes­ser als erwar­te­te Kon­junk­tur­ent­wick­lung. Eine all­seits akzep­tier­te Friedens­lösung für die Ukrai­ne wür­de die kriegs­be­ding­ten Unwäg­bar­kei­ten elimi­nieren und könn­te vor allem über den Inves­ti­ti­ons- und Export­ka­nal der Kon­junk­tur neue Impul­se geben.

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