Lokal

Deut­sche Wirt­schaft vor schwie­ri­gem Winter

Veröffentlicht

am

Auf­hol­ef­fek­te bei den kon­takt­in­ten­si­ven Dienst­leis­tun­gen sorg­ten trotz hart­nä­cki­ger Ange­bots­eng­päs­se in der Indus­trie für ein kräf­ti­ges deut­sches Wachs­tum von 1,7 % im drit­ten Quar­tal. Doch nun steht der Wirt­schaft ein schwie­ri­ger Win­ter bevor: Der stei­le Ener­gie­preis­an­stieg dämpft die pri­va­te Kauf­kraft und belas­tet die Unter­neh­men kos­ten­sei­tig. Gleich­zei­tig hal­ten sich die Mate­ri­al­eng­päs­se bei Roh­stof­fen und Vor­pro­duk­ten sowie die Stö­run­gen im glo­ba­len Trans­port­sys­tem hart­nä­ckig. Ange­sichts unzu­rei­chen­der Impf­fort­schrit­te türmt sich zu alle­dem die vier­te Wel­le der Coro­na-Neu­in­fek­tio­nen mit Beginn der kal­ten Jah­res­zeit auf immer neue Höchst­stän­de auf. Regeln zur Ein­däm­mung und eine frei­wil­li­ge Zurück­hal­tung beim sozia­len Kon­sum aus Angst vor Anste­ckun­gen dürf­ten die Umsät­ze vie­ler Unter­neh­men im kon­takt­in­ten­si­ven Dienst­leis­tungs­be­reich sowie im sta­tio­nä­ren Ein­zel­han­del nun wie­der belas­ten. In der Fol­ge wird die Wirt­schaft im begon­ne­nen Win­ter­halb­jahr 2021/2022 kaum über eine Sta­gna­ti­on hin­aus­kom­men, vor­über­ge­hend kann sie sogar etwas schrump­fen. Bei mehr oder weni­ger gleich­zei­ti­ger Ent­span­nung bei Mate­ri­al­eng­päs­sen und Pan­de­mie­la­ge wird es dann ab dem Früh­ling 2022 aber zu einem kräf­ti­gen Schub beim Quar­tals­wachs­tum kom­men. Für das kom­men­de Jahr erwar­tet KfW Rese­arch mit 4,4 % (Vor­pro­gno­se: 4,2 %) ein deut­lich höhe­res Wirt­schafts­wachs­tum als 2021 mit 2,6 % (Vor­pro­gno­se: 3,0 %; alle Raten preis­be­rei­nigt).
 
„Ein Teil des Wachs­tums ver­la­gert sich in das kom­men­de Jahr und das deut­sche Brut­to­in­lands­pro­dukt bleibt in die­sem Jahr noch leicht, um gut ein Pro­zent, hin­ter dem Vor­kri­sen­ni­veau im vier­ten Quar­tal 2019 zurück“, sagt Dr. Frit­zi Köh­ler-Geib, Chef­volks­wir­tin der KfW beim Pres­se­ge­spräch zum Kon­junk­tur­aus­blick 2022 in Frank­furt. „Doch auf­ge­scho­ben ist nicht auf­ge­ho­ben: Ihr Vor­kri­sen­ni­veau wird die deut­sche Wirt­schaft im zwei­ten Quar­tal 2022 über­tref­fen – und zwar recht schnell und deut­lich, sobald sich die hem­men­den Fak­to­ren lösen.“
 
Die Sche­re zwi­schen Nach­fra­ge und Ange­bot in der Indus­trie hat sich seit Mit­te 2020 immer wei­ter geöff­net: Aktu­ell ist der monat­li­che Ein­gang an neu­en Auf­trä­gen im Ver­ar­bei­ten­den Gewer­be knapp 9 % höher als im Febru­ar 2020, dem letz­ten Monat vor Beginn der coro­nabe­ding­ten Ein­schrän­kun­gen. Dem­ge­gen­über fällt die Pro­duk­ti­on infol­ge der gra­vie­ren­den Mate­ri­al­eng­päs­se immer wei­ter zurück und liegt inzwi­schen um gut 11% unter dem Vor­kri­sen­ni­veau. Der seit Janu­ar 2015 erho­be­ne Bestand an uner­le­dig­ten Auf­trä­gen im Ver­ar­bei­ten­den Gewer­be wächst des­halb schon seit Anfang 2021 im Monats­rhyth­mus auf immer neue Rekord­stän­de an. „Mit dem Abar­bei­ten die­ses enor­men Auf­trags­staus ist im Ver­lauf von 2022 ein neu­er Wachs­tums­schub abseh­bar, sobald die Mate­ri­al­knapp­hei­ten nach­las­sen“, erläu­tert Köh­ler-Geib. Mit der Ein­däm­mung der vier­ten Wel­le der Pan­de­mie wer­de zudem die Kon­sum­nach­fra­ge im Ver­lauf von 2022 wie­der anzie­hen, zumal die pri­va­ten Haus­hal­te über erheb­li­che Über­er­spar­nis­se ver­fü­gen wür­den, mit denen sie auch ener­gie­preis­be­ding­te Kauf­kraft­ver­lus­te zumin­dest abfe­dern könn­ten. So lag die Spar­quo­te vom ers­ten Quar­tal 2020 bis zum drit­ten Quar­tal 2021 im Schnitt um 5,8 Pro­zent­punk­te über dem Durch­schnitt der zehn Jah­re zuvor, was einer Über­er­spar­nis von zusam­men­ge­nom­men 208 Mrd. EUR oder 6,2 % des BIP im Jahr 2020 ent­spricht.
 
Das Brut­to­in­lands­pro­dukt (BIP) der Euro­zo­ne wuchs im drit­ten Quar­tal 2021 mit 2,2 % gegen­über dem Vor­quar­tal noch kräf­ti­ger als das deut­sche BIP. Das star­ke Come­back der Dienst­leis­tun­gen – vor allem des Gast­ge­wer­bes und ande­rer kon­takt­in­ten­si­ver Bran­chen wie etwa Ver­an­stal­tun­gen – gab der Wirt­schafts­leis­tung der Euro­zo­ne einen kräf­ti­gen Schub. Zugleich belas­te­ten die Mate­ri­al­eng­päs­se die Pro­duk­ti­on weni­ger als in Deutsch­land mit sei­nem über­durch­schnitt­lich hohen Indus­trie­an­teil ein­schließ­lich der beson­ders unter dem Chip­man­gel lei­den­den Auto­in­dus­trie. Für die Euro­zo­ne ins­ge­samt ist das Vor­kri­sen­ni­veau zum Grei­fen nah, es feh­len noch 0,5 %. Die wei­te­re Erho­lung wird von einer ungu­ten Kom­bi­na­ti­on aus der rapi­den Ver­teue­rung von Ener­gie, anhal­ten­den Mate­ri­al­eng­päs­sen und loka­len Infek­ti­ons­wel­len unter­schied­li­cher Stär­ke aus­ge­bremst. In Süd­eu­ro­pa erscheint die Pan­de­mie­la­ge rela­tiv sta­bil und dank hoher Impf­quo­ten gut beherrsch­bar. Hin­ge­gen ist die Dyna­mik der Fall­zah­len in Deutsch­land und wei­te­ren Län­dern vor allem Nord‑, Mit­tel- und Ost­eu­ro­pas hoch. Ver­schär­fun­gen der Maß­nah­men könn­ten hier den sozia­len Kon­sum über den Win­ter wie­der etwas schrump­fen las­sen. Das Quar­tals­wachs­tum in der Euro­zo­ne wird des­halb kurz­fris­tig ver­fla­chen, bevor es bei ver­bes­ser­ter Pan­de­mie­la­ge und rück­läu­fi­gen Mate­ri­al­eng­päs­sen ab dem kom­men­den Früh­ling wie­der Fahrt auf­nimmt. Unterm Strich erwar­tet KfW Rese­arch für die Euro­zo­ne im Jahr 2021 ein BIP-Wachs­tum von 5,0 % (Vor­pro­gno­se: +4,7 %; tech­nisch begrün­de­te Auf­wärts­re­vi­si­on infol­ge Aktua­li­sie­rung ver­gan­gen­heits­be­zo­ge­ner BIP-Daten durch Euro­stat). 2022 dürf­te das Wirt­schafts­wachs­tum 4,2 % (Vor­pro­gno­se: 4,3 %) errei­chen.
 
Die Coro­na-Pan­de­mie ist wei­ter­hin das zen­tra­le Risi­ko für die Kon­junk­tur, wie die neu ent­deck­te Virus­va­ri­an­te Omi­kron augen­fäl­lig unter­streicht. Köh­ler-Geib: „Das deut­sche Wachs­tum könn­te 2022 zwi­schen 2,5 und 4 Pro­zent­punk­te nied­ri­ger aus­fal­len als von uns vor­her­ge­sagt, falls wie­der schar­fe Ein­däm­mungs­maß­nah­men wie pau­scha­le Lock­downs ergrif­fen wer­den müss­ten und sich im ungüns­tigs­ten Fall zudem die Indus­trie­er­ho­lung wegen erneu­ter glo­ba­ler Ange­bots­eng­päs­se wei­ter in die Zukunft ver­schö­be.“ Aller­dings ist gegen­wär­tig völ­lig unklar, ob Omi­kron tat­säch­lich anste­cken­der oder im Krank­heits­ver­lauf schwer­wie­gen­der ist. Bis­lang unbe­ant­wor­tet ist zudem die Fra­ge, ob die bis­he­ri­gen Impf­stof­fe deut­lich weni­ger gegen eine Anste­ckung schüt­zen. „Inso­fern ist auch offen, wie hoch die Ein­tritts­wahr­schein­lich­keit die­ser Kri­sen­sze­na­ri­en ist. Eben­falls denk­bar ist außer­dem, dass Omi­kron zwar anste­cken­der aber in den Krank­heits­ver­läu­fen weit harm­lo­ser ist als die bis­he­ri­gen Vari­an­ten, was uns dem Ende der Pan­de­mie sogar ein Stück näher­bräch­te“, sagt Köhler-Geib.

Zum Kommentieren klicken
Die mobile Version verlassen